Eine unterschätzte Region
von Anna Schütz
Und das lohnt sich – schließlich bin ich mit meiner Familie auf der Schwäbischen Alb im Landkreis Göppingen unterwegs. Fünf Tage dürfen wir hier verbringen und haben ein buntes Programm vor uns. Denn was vielleicht zunächst nicht nach einem hippen Reiseziel klingt, entpuppt sich sehr schnell als unterschätzte Region, die es im wahrsten Sinne des Wortes in sich hat: Ich lese meinen Kindern aus dem Reiseführer vor, dass die Alb vor über 150 Millionen Jahren vom Jurameer bedeckt war, das über die Zeit zu einer phantastischen Landschaft versteinert ist. Das Ergebnis sind schroffe Felsformationen und tiefe Höhlen, sanfte Hügel und liebliche Streuobstwiesen.
Die Region knapp 50 Kilometer südöstlich von Stuttgart lässt Entdeckerherzen höherschlagen, aber auch Outdoor-Fans, Kultur- und Geschichtsinteressierte kommen hier voll auf ihre Kosten. Schließlich hat die idyllische Region am Rande des Albtraufs, der Abbruchkante eines Hochplateaus, die sich zu Fuß oder auf zwei Rädern auf tausenden Kilometern von Rad- und Wanderwegen entdecken lässt, viel zu bieten: Täler und Schluchten, Burgruinen und Schlösser, hübsche Örtchen und Heidelandschaften, Wälder und Wiesen, atemberaubende Ausblicke und spannende Geschichten rund um den Mythos der Staufer, international bekannte Namen wie WMF und Märklin und die gute schwäbische Küche.
Wanderung mit Alpakas
„Für die Haartolle musste Elvis lange im Bad stehen“, denke ich. Der hübsche Moritz hingegen braucht dafür weder Pomade noch Spiegel. Er ist eine echte Naturschönheit und seine Haarpracht unwiderstehlich. Mogli trägt einen Afro und auch Bella sieht aus, als käme sie frisch vom Friseur. Von ihren schwarzen Knopfaugen ist mein Dreizehnjähriger sofort verzaubert. Und seine Zwillingsschwester säuselt: „Mama, schau doch mal wie süß!“ Sie ist hingerissen von Mogli, streichelt verträumt seine Locken und schmiegt sich an seinen langen Hals. Die Ausstrahlung, die die Alpakas auf meine Kinder haben, ist faszinierend. War die Lust auf eine Wanderung gerade noch sehr gering, können sie es jetzt kaum erwarten, dass es losgeht. In einer kleinen Karawane verlassen wir den Hof der Familie Greiner und machen uns auf den Weg. Und schon nach wenigen Metern weiß ich, eine Wanderung mit einem Alpaka ist etwas ganz Besonderes: Hier geht es mal nicht um schneller, höher, weiter. Die flauschigen Tiere strahlen eine Ruhe aus, die sich unweigerlich auf die kleinen und großen Menschen am anderen Ende des Zügels überträgt. Das langsame Tempo und die kleinen Pausen, die die Tiere zwischendrin immer wieder einlegen, sorgen dafür, dass auch die Zweibeiner die Natur um sie herum ganz anders wahrnehmen.
Besuch im Märklineum
Seit 1859 stellt das schwäbische Traditionsunternehmen Blechspielzeug her. Aber wer jetzt an den verstaubten Zeitvertreib einiger Großväter mit ihren Enkelsöhnen denkt, irrt. Denn aus der kleinen Fabrik ist ein weltweit bekannter Produzent von hochwertigem Metallspielzeug geworden. Und das Märklineum im Herzen der Stadt Göppingen zeigt auf über 2000 Quadratmetern nicht nur ein paar alte Modelleisenbahnen, sondern gibt Einblicke in die Produktion, interagiert multimedial mit den großen und kleinen Besuchern und präsentiert eine riesige Modellbahnanlage. Vor allem die hat es meinen Kindern angetan. Im regelmäßigen Tag-Nacht-Rhythmus zwitschern hier Vögel, geht die Sonne auf und wieder unter, es donnert und regnet, und ständig entdeckt man etwas Neues. Alle Epochen der Bahngeschichte werden hier lebendig – und natürlich auch der Mythos der Marke.

Wanderung auf dem Löwenpfad
16 Löwenpfade gibt es in der Region und sie stehen für Wandern mit Qualitätsanspruch. Wir begeben uns auf die kurze Spielburg-Runde mit einem Abstecher auf die Staufer-Runde. Die kleinkindertaugliche Tour beginnt am Dorfplatz von Hohenstaufen und führt zur Felsformation Spielburg. Wir genießen immer wieder sensationelle Ausblicke auf den Albtrauf und das Filstal (und bei gutem Wetter und ein bisschen Glück bis zu den Alpen) und verlassen die Spielburgrunde, um den Gipfel des Hohenstaufen zu erklimmen. Kein Wunder, dass sich die legendäre Dynastie der Staufer diesen Berg für ihren Stammsitz ausgesucht haben. Grandios sind der Rundumblick und die Geschichten, die es dazu gibt. Wem nicht wie uns das Glück vergönnt ist, dem Pächter Andreas Schweickert selbst zuhören zu dürfen, dem sei der Audioguide empfohlen, den es in der Berggaststätte „Himmel & Erde“ gegen ein Pfand auszuleihen gibt - mit interessanten und spannenden Erzählungen rund um den Hohenstaufen, von Kaiser Barbarossa, über Friedrich II oder den tragischen Tod der Irene von Byzanz. Meine Kinder werden wohl nie vergessen, dass Barbarossa nach seinem Tod gekocht worden ist. Um den kaiserlichen Leichnam vor Verwesung zu schützen wurden seine Gebeine so vom Fleisch getrennt.
Familien Quiztour im Naturschutzgebiet Wasserberg-Haarberg
Wer Kinder hat, weiß, dass man beim Wandern manchmal ein bisschen nachhelfen muss. Sehr hilfreich ist es da, wenn man die Tour mit einer Schatzsuche oder einem Quiz verbinden kann. Und so begeben wir uns mit Faltblatt und App ausgestattet ins Naturschutzgebiet Haarberg-Wasserberg. Es geht über Stock und Stein, über Berg und Tal und durch Wiesen und Wälder. Dabei erscheinen auf dem Handy Fragen rund um die Pflanzen und Tiere der Wacholderheiden. Da geht es um die Früchte und Nüsse diverser Sträucher und Bäume, um Vögel, Schnecken und Hexenbesen – aber keine Sorge, die Antworten sind keine Zauberei …

Gleitschirmfliegen
Am letzten Tag wartet noch ein Highlight auf uns. Heute sollen wir den Boden unter den Füßen verlieren: Mit der Flugschule Göppingen geht es hinauf in die Lüfte. Dr. Klaus Irschik, Geschäftsführer der Flugschule, erwartet uns mit Fluglehrer Michael Bruckner auf einem Hang bei Donzdorf. Für die Großen steht ein Schnupperkurs fürs Gleitschirmfliegen auf dem Programm; in einer praxisnahen theoretischen Einführung werden hier die wichtigsten Teile des Fluggeräts sowie Start-, Steuer- und Landetechnik erklärt. Im Praxisteil heißt es dann auf dem sanften Hügel Laufübungen und kleine Hüpfer und bald sogar kleine Flüge zu absolvieren. Ein Riesenspaß und ganz schön anstrengend! Die Kleinen, die noch unter 14 und damit zu jung sind, gehen mit dem Fluglehrer auf einen Tandemflug. Mitfliegen kann jeder, der sich eben traut, abzuheben. Nach ein paar Schritten auf die Abflugkante zu baumeln die Beine schon in der Luft und ich sehen es an ihren Augen, wie herrlich sie es finden, schwerelos in der Luft zu schweben. Klaus schraubt sich mit dem Schirm in die Höhe, zieht eine weite Kurve und ich weiß, dass meine Kinder diesen Tag so schnell nicht vergessen werden. Die einzige Gefahr: Die Mischung aus Adrenalin und Endorphinen kann wirklich süchtig machen.
Überhaupt dürfen wir am Ende unserer fünf Tage feststellen, dass die Zeit in und um Göppingen wirklich wie im Fluge vergangen ist und wir eine Region entdeckt haben, von der wir vorher nicht viel wussten, die aber wahnsinnig viel zu bieten hat und uns sehr gefallen hat.
Kleiner Spaziergang durch die Streuobstwiesen mit Picknick
Es hat etwas Paradiesisches, als wir mit dem Picknickkorb in den Händen durch die Obstwiesen oberhalb des Örtchens Schlat laufen. Alte Obstbäume auf malerischen Wiesen, die sich über sanfte Hügel ziehen, soweit das Auge blickt. Blumen blühen, das Gras steht fast kniehoch. 26.000 Hektar sind die Streuobstwiesen zwischen Alb und Neckar groß. Und etwa 1,5 Millionen Obstbäume blühen hier im Frühling, hängen im Sommer voller Kirschen und im Herbst voller Zwetschgen, Birnen und Äpfel. Über 5000 Tier- und Pflanzenarten sind hier zuhause. Plötzlich steht mitten in den Wiesen vor uns ein schlicht und doch edel eingedeckter Tisch. Wir öffnen den Picknickkorb, der gefüllt ist mit vielen Köstlichkeiten aus der Manufaktur Jörg Geiger. Vor rund 25 Jahren kelterte der gelernte Koch seinen ersten Schaumwein aus einer fast vergessenen Birnensorte. Heute trinkt man seine Kreationen auf der ganzen Welt – und eben in den Obstwiesen vom Schlat. Es duftet nach Apfel, Melisse und Kräutern und schmeckt wunderbar. Über uns scheint die Sommersonne, es weht ein leichter Wind - es könnte schöner nicht sein.
Besuch der Kahlensteinhöhle
Die Schwäbische Alb gehört zu den höhlenreichsten Regionen Europas. Wie sich die Natur über Millionen von Jahren gebildet hat, lässt sich wohl kaum besser veranschaulichen als unter der Erde. Haben wir draußen geschwitzt, wird es wenige Meter vom Höhleneingang entfernt schon ganz schön frisch. Gut, dass wir daran gedacht haben, Jacken und Pullover mitzunehmen. Früher war die größte der rund 50 Kleinhöhlen der Gegend als Schauhöhle zugänglich, heute ist sie mit einem Gitter verschlossen und nur mit einem Mitglied des Kahlensteiner Höhlenvereins zu besichtigen. Leider sind viele der wunderschönen Tropfsteine abgebrochen. Wir gehen tiefer hinein und erfahren, dass einige sehr spannende und alte Funde aus unterschiedlichen Epochen in der Höhle gemacht wurden, die ältesten stammen wohl aus der Jungsteinzeit um 3000 v. Chr.. Vor allem im Eingangsbereich der Höhle trifft man auf eine reichhaltige Fauna, vor allem Spinnen lieben die gleichbleibenden Klimabedingungen.
Burgruine Reußenstein mit anschließender Radtour auf der Filstalroute
Kühn steht sie da auf dem hochaufragenden Felsenriff am Nordrand der Alb und ist der Inbegriff einer mittelalterlichen Burgruine: die Burg Reußenstein, der Legende nach von einem Riesen aus Liebe erbaut. Wir hören uns die Sage auf dem Handy an und blicken derweil übers Neidlinger Tal auf die andere Seite, wo jener Riese Heim gewohnt haben soll. Bei Sonnenuntergang muss es hier ungeheuer romantisch sein, wenn die Sonne alles rot färbt. Dann sitzt man hier wohl auch nicht allein, so wie wir jetzt am frühen Vormittag. Aber für uns geht es von hier aus weiter - heute mal nicht zu Fuß, sondern auf zwei Rädern: Wir werden ein Stück der herrlichen Filstalroute fahren, die vom Ursprung der Fils bis zur Mündung in den Neckar führt. Von der Burg geht es sanft bergab ins wild-idyllische Hasental zum Filsursprung. Und da Wasser immer eine magische Anziehungskraft auf meine Kinder ausübt, dauert es nur wenige Sekunden, bis sie Schuhe und Strümpfe ausgezogen haben und in die junge Fils hüpfen, die hier aus dem Boden tritt. „Uuuuaaahhh, ist das kalt!!“ rufen die beiden und ich kann das wenig später nur bestätigen. Nach der erfrischenden Pause picknicken wir ein paar Meter weiter und genießen die beeindruckende Kulisse aus Wiesen, Wald und dem dahin plätschernden Fluss. Danach geht es weiter hinab an der Papiermühle vorbei ins Dörfchen Wiesensteig, dessen Freibadwasser zum Glück sehr viel wärmer ist als das der Fils und uns zu Sprüngen und Schwimmen einlädt.

 Bogenschießen bei Donzdorf
Erst einmal legen wir alle den Armschutz an, dann heißt es Füße parallel, Blick geradeaus und mit drei Fingern unter den Pfeil, der dann auf die Sehne genockt wird. „Ruhig! Ellbogen hoch, Arm durchstrecken und los!“, erklärt Manfred Keifer vom Bogensportverein Donzdorf. Dann schießt der Pfeil mit einem Sirren auf den Uhu. „Knapp daneben ist auch vorbei!“ sagt der Älteste und legt nochmal an. Dieses Mal landet der Karbonpfeil mitten in der Brust der Tierattrappe. Wir fühlen uns wie Robin Hood auf dem 3-D-Parcours, bei dem 28 Tiernachbildungen aus Hartschaum darauf warten, von den Bogenschützen getroffen zu werden. Ob Grizzly, Reh oder Wolf, Gorilla, Hase oder Eule – sie alle sind in die elf Hektar große Anlage eingebettet, die von Profis in 2-3 Stunden abgelaufen wird. Als Anfänger schaffen wir längst nicht alle Stationen, sind aber total begeistert von der Mischung aus Jagdfeeling, Konzentration und Wettbewerb.
Burgruine Helfenstein und Ödenturm
Kartbahn Adelberg
Die Kinder wissen natürlich, was sie erwartet, denn Kartfahren steht schon lange hoch im Kurs; nur ich habe bisher noch nie eine Kartbahn von innen gesehen. Eher zögerlich ziehe ich daher die Sturmhaube über und setzte den Helm auf. Da sitzen die Kinder schon in den Karts und warten aufs Startsignal. Nach einer kurzen Einleitung geht’s los mit einer eher zaghaften Runde. Ich spiele ein bisschen mit der Geschwindigkeit, probiere Gegenlenken und suche die beste Linie in der Kurve. Bald merke ich, dass auch ich Benzin im Blut habe, obwohl es sich hier um Elektrokarts handelt. Die Kinder sind risikofreudiger und schneller als ich, doch ich freue mich, dass sie auch vorausschauend fahren und umsichtig. Wie ich lernen sie von Runde zu Runde; wir versuchen, Fehler zu korrigieren, um wertvolle Sekunden zu gewinnen.

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